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Eigentlich ist es verrückt. Im Artikel über das Triggerband habe ich mit dem Modell aufgezeigt, wie chronische Schmerzen binnen kürzester Zeit verschwinden können. Jetzt komme ich daher und behaupte, dass Knochen zu Muskeln und Muskeln zu Knochen werden können? Ja, Tatsache, das tue ich – aus Sicht des Modells! Betrachte ich die Definition von Faszien nach dem Modell und führe mir das Modell selbst sowie die Funktionen von Faszien und vor allem das Triggerband vor Augen, so ist das nicht verwunderlich. Zunächst geht das Modell davon aus, dass auch Knochen aus faszialem Gewebe bestehen nur eine andere Zusammensetzung haben. Es nimmt an, dass sich fasziale Strukturen Belastungen anpassen können. Kombiniere ich diese zwei Faktoren, so muss ich unweigerlich davon ausgehen, dass Knochen zu Muskeln und Muskeln zu Knochen – rein theoretisch – werden können und das Faszien-Distorsions-Modell hat dazu eine definierte Distorsion: Die Continuum Distorsion.
Knochen und Muskeln sind das gleiche, nur der Aggregatzustand ist ein anderer.
Allgemein geht das Modell davon aus, Knochen und Faszien Dasselbe sind, nur unterschiedliche Aggregatszustände haben. Es wird oft der Vergleich zu Wasser und Eis hergestellt, um es besser zu verdeutlichen. Auch ich bediene mich an dieser Stelle dieser Metapher. So ist Eis einfach nur gefrorenes Wasser und Wasser lediglich geschmolzenes Eis. Zu diesem Schluss kommt das Modell, weil Knochen, Faszien und Muskeln aus dem Mesoderm entstehen. Das Mesoderm ist eine Zelle, welche beim Menschen in der dritten Entwicklungswoche entsteht.
Bei der Continuum Distorsion liegt eine Störung im Übergang von Faszie und Knochen aufgrund einer Überlastung vor. Diese Überlastung kann durch ein Trauma (Sportverletzung, Unfall) oder eine Fehlbelastung (bspw. falsches Training) zustande kommen. Dazu musst du dir vorstellen, dass die Gewebsstrukturen „flüssige“ Übergänge haben. Ähnlich wie im Club, wenn du einen richtig guten DJ hast, kannst du allein durch das Hören nicht sagen, wann ein Lied zu Ende gewesen ist und das neue angefangen hat. Die Übergänge sind flüssig. Auch im Körper gibt es keine „harten“ Kanten, sondern flüssige Übergänge, eine so genannte Übergangszone. Diese Übergangszone ist stark flexibel. Ähnlich wie in der Musik, wo ich Übergänge durch die Veränderung von Höhen und Tiefen durchführen kann, hat der Körper eine Übergangszone welche sich zu faszialem Gewebe „verändern“ kann, bspw. im Falle einer Dehnung bei der mehr Flexibilität gefragt ist. Oder es wandelt sich um in Knochenmatrix, wenn das Gewebe bzw. eine Bewegung mehr Stabilität erfordert, bspw. beim Anheben von Gewichten – dazu siehe unter Abbildung 1, eine farbliche Verdeutlichung.
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Bei der Continuum Distorsion kommt es zum Absturz der der physiologischen Eigenschaften – ähnlich eines Systemcrashs am Computer.
Kommt es nun zu besagtem Trauma oder zur Fehlbelastung, so kommt es zu in Abbildung vier gezeigter Situationen. Die Übergangszone nimmt sowohl Knochenmatrix als auch Fasziengewebe an und blockiert sich selbst. Ihr müsst euch das wie einen Absturz beim Computer vorstellen. Es geht einfach nichts mehr und das einzige was hilft ist der Reset-Knopf – sogar der Affengriff Strg+Alt+Entf hilft nicht weiter. Dieser Absturz der physiologischen Eigenschaften der Übergangszone führt zu Schmerzen und einem Verlust der sensomotorischen Informationsübertragung.
Man unterscheidet die Continuum Distorsion noch in eine invertierte und evertierte Störung. Bei der invertierten Störung ragt das Fasziengewebe in den Knochen und bei der evertierten Störung umgekehrt. Dort ragt der Knochen in das Fasziengewebe. Für die Behandlung selbst macht das zunächst keinen nennenswerten Unterschied.
Ein punktuell stechender Schmerz und das zeigen mit einem Finger auf einen Punkt charakterisieren eine Continuum Distorsion.
Anders als beim Triggerband kommt es bei einer Continuum Distorsion nur sehr selten zu einer Selbstheilung. Ganz im Gegenteil, oftmals kommt es sogar zu einer Beschwerdezunahme weil eine vorliegende Continuum Distorsion zu weiteren Störungen führt (wie bspw. neuen Continuum Distorsionen und/oder Triggerbändern). Vor allem bei einer evertierten Störung können neue Triggerbänder entstehen, weil die rausragende bzw. in die Faszie reinragende Knochenmatrix diese bereits „schwächt“ und für Scherkräfte nun besonders anfällig ist. Es ist davon auszugehen, dass im Zusammenhang mit einer Continuum Distorsion eine aufgespaltete Faszie steht.
Aus klinischer Sicht beschreiben Patienten eine Continuum Distorsion meist mit einem punktuell stechenden Schmerz, welcher unter Belastung zunimmt. Damit einhergehend werden ein Koordinationsverlust und einer vermindertes Feingefühl beschrieben. Bei einer permanenten und weiterführenden Fehlbelastung wird die Übergangszone immer weiter in die Störung verlagert. Es muss mit einer Zunahme an Beschwerden gerechnet werden. Aus Sicht der Körpersprache wird eine solche Störung meist punktuell mit Mittel- oder Zeigefinger gezeigt. Eine Gelenksnähe ist nicht zwingend aber oft vorhanden.
In diesem Fall spielt die Palpation wieder eine wichtige Rolle für die Diagnose. Wie aufgezeigt unterscheidet das Modell zwischen invertiert und evertiert. Im Falle einer invertierten Störung kann ich eine Reiskorngroße Veränderung ertasten. Das ist der „Knochenvorsprung“. Im Falle einer evertierten Störung ist eine leichte Delle im Knochen ertastbar. Passive Bewegungen sind für gewöhnlich schmerzfrei, aktive Bewegungen hingegen reproduzieren den Schmerz.
Ist der richtige Ort der Störung gefunden gilt für den Therapeuten das „Alle oder Nichts“-Prinzip.
Für den Therapeuten gestaltet sich als größte Herausforderung die korrekte Stellung der Störung zu finden. Während die klinische Diagnose und die Analyse der Körpersprache recht einfach sind und zu einer Continuum Distorsion führen, ist die Palpation und daran anknüpfend Behandlung weitaus schwieriger. Ist die richtige Stelle gefunden und wird mit dem richtigen Druck gearbeitet, so spürt der Therapeut ein langsames Auflösen des Reiskorns und der Patient merkt wie der Schmerz langsam nachlässt. Bei dem Druck gilt das „Alles oder nichts“-Prinzip. Der Therapeut hält so lange Druck drauf, bis die Distorsion nachlässt. Gegebenenfalls muss er neu Ansätzen, weil er durch leichte Veränderung der eigenen Daumenposition, den richtigen Punkt verloren hat. Bei der Behandlung empfiehlt das Modell zunächst mögliche Triggerbänder, dann die Continuum Distorsion und abschließend noch einmal Triggerbänder zu behandeln.
Zusammenfassend für die Continuum Distorsion bedeutet das:
Tatsächlich ist die Überschrift aus Sicht des Modells nur bedingt richtig, da es sich bei der Continuum Distorsion um die Übergangszone zwischen Faszie und Knochen handelt und nicht um Muskel und Knochen. Doch geht es um den Kern der Message und dieser bedeutet, dass eine Umwandlung von Gewebe im Körper möglich und auch gewollt ist, eine Störung in diesen Übergangszonen jedoch zu deutlichen Problemen am Bewegungsapparat führen können.
- Die Übergänge zwischen Sehnen, Muskeln, Faszien und Knochen sind fließend
- Knochen und Faszien unterscheiden sich nur im Aggregatzustand
- Es gibt eine anpassungsfähige Übergangszone zwischen Knochen und Faszien
- Die Anpassungsfähigkeit wird bei einer Continuum Distorsion blockiert.
- Es wird zwischen invertiert und evertiert unterschieden.
- Solche Distorsionen liegen oft in Gelenksnähe und werden punktuell mit Finger gezeigt und mit einem punktuell stechendem Schmerz beschrieben
- Die Palpation ist hier besonders wichtig.
- Bei der Behandlung gilt das „Alles oder Nichts“-Prinzip.
- Triggerbänder stehen oft im Zusammenhang mit einer Continuum Distorsion.