Lowcarb. Man liest ihn – diesen Begriff – mittlerweile oft und überall. Der „moderne“ Ernährungsberater arbeitet mit diesem Konzept. Jede Onlineplattform die sich mit Ernährung auseinander setzt nutzt diesen Begriff bzw. hat ihn in irgendeiner weiße betrachtet. Seit einigen Jahren ist er also in aller Munde, dabei gibt es Konzepte die Lowcarb sind und schon weitaus länger existieren als der Begriff selbst.
Obwohl der Begriff so modern ist, wissen viele gar nichts wirklich damit anzufangen. Viel mehr, so ist es mein Eindruck, schreibt die Masse der Bevölkerung (und das sind die eher „unaufgeklärten“) diesem Begriff eine Ernährung zu die der Atkins-Ernährung gleich kommt: Kohlenhydrate allerhöchsten in Form von Gemüse. Ist das tatsächlich so? Ist eine Ernährung in der nur Gemüse die Kohlenhydratquellen darstellen als einziges als eine Lowcarb-Ernährung zu verstehen?
Selbst die Wissenschaft, so scheint es mir, hat keine eindeutige und gemeinsam genutzte Definition. Zumindest kann ich sagen, dass es Ausreißer gibt. Am 03.06.14 habe ich in meinem Beitrag Ein kritischer Kommentar zur Spiegel Berichterstattung über Lowcarb Diäten aufgezeigt, dass es doch sehr fragwürdig ist, was dort unter Lowcarb verstanden wurde bzw. wird. Ein 50%-iger Anteil der Gesamtzufuhr an Energie durch Kohlenhydrate und das ist Lowcarb? Fragwürdig!
Doch will ich nicht nur schimpfen sondern euch versuchen aufzuzeigen, wieso es meiner Meinung nach zu diesem „Missverständnis“ oder besser gesagt zu dieser „Unklarheit“ kommt. Ihr werdet feststellen, die Grenze des Begriffes Lowcarb kann man gar nicht so einfach definieren. Wobei, doch, eigentlich schon. Das Problem liegt in der Bequemlichkeit (und da nehme ich mich nicht immer bei raus) die wir als Verbraucher aber auch als Coaches im Bereich der Ernährungsberatung etc. an den Tag legen.
Lowcarb ist einfach definiert…doch birgt das ein großes Diskussionspotential
Nehmen wir einfach nur den Begriff Lowcarb und übersetze ihn rein wörtlich, ist es simpel und einfach: Wenig Kohlenhydrate. Eigentlich kann ich das so stehen lassen und gleichzeitig eröffnet diese Übersetzung ein großes Diskussionspotential. Sind maximal 100g (also eine absolute Zahl) Kohlenhydrate/Tag als wenig Kohlenhydrate zu verstehen? Oder müssen wir von einer relativen Zahl (der prozentuale Anteil welcher an Energie durch Kohlenhydrate geliefert wird – bspw. 20%) ausgehen? Bis wohin geht diese Zahl?
Das sind Fragen die ich in nur einem kleinen Absatz aufgeworfen habe und die deutlich machen: So trivial kann man das ganze gar nicht bestimmen. Doch lässt sich auch eine Vermutung anstellen… Man kann (und an dieser Stelle sage ich auch: man muss) zwischen einer absoluten und einer relativen Lowcarb-Ernährung unterscheiden.
Wenn wir jetzt die Unterscheidung machen, bleibt noch immer die wesentliche Frage im Raum: Bis wohin geht die (absolute oder relative) Zahl (Grenze)? Und trotz dieser Unterscheidung gibt es ein weiteres Problem das mit der 1:1 Übersetzung zusammenhängt. Für viele bedeutet Lowcarb nicht zwangsläufig wenig Kohlenhydratesondern einfach nur kohlenhydratreduziert. Dadurch wird der Definitionsraum natürlich extrem vergrößert.
Verschiedene Wege ermöglichen das Herangehen an eine Definition
In diesem Zusammenhang lohnt es sich in die Literatur zu schauen und in der Definitionsfrage angelehnt an sinnvolle und funktionierende Ernährungsphilosophien vorzugehen. Meiner Meinung nach sind vor allem die folgenden Konzepte zu nennen: Metabole Diät, Anabole Diät, Atkins Diät, Zone Diet, Paleo, Intermittent Fasting, Carbbackloading (CBL) und Human Based Nutrition (HBN). An dieser Stelle gehe ich nicht zu sehr ins Detail. Für den Laien sind die meisten Konzepte sehr wahrscheinlich nur bedingt bekannt. Für jene, die sich mit Ernährung auseinander setzen stellt sich vielleicht manch einer die Frage wieso bspw. HBN und CBL genannt werden obwohl bei beiden in der Gesamtbilanz nicht unbedingt wenig Kohlenhydrate – im Vergleich zu einer Atkins oder Zone Diet – verzehrt werden.
Nicht nur die Menge sondern auch das Timing erlaubt den Begriff Lowcarb
Die zuletzt genannten Systeme bzw. Philosophien haben ein ausgewähltes ‚Kohlenhydrattiming‘. Dabei spielt das Training eine maßgebliche Rolle. Der Fokus liegt dabei darauf, um das Training herum die Kohlenhydrate zu timen. Diese Tatsache zwingt einen mehr oder weniger dazu über den Tag verteilt Mahlzeiten einzubauen, welche sich aus Eiweiß und Fett zusammensetzen wodurch der Körper mehr oder weniger gezwungen wird auch mit Fett als Energielieferant zu arbeiten. Ob deshalb ein Training des Fettstoffwechsels stattfindet soll nicht diskutiert werden. Fakt ist – und darum geht es hierbei: Über den Tag verteilt gibt es Zeitpunkte an denen sich die über das Essen hauptsächlich zugeführte Energie nicht aus Kohlenhydraten stammt.
Eine Betrachtung der Rechten und Linken Grenze zeigt: Lowcarb ist ein großer Begriff
Beim CBL werden zum Abend hin Kohlenhydratmengen von 3-5g/kg Körpergewicht – neben einer Portion Eiweiß – zugeführt. In Abhängigkeit der Gesamtenergiezufuhr kann das bedeuten, dass der relative Kohlenhydratanteil[1] zwischen 33% und 36% variiert (weitere Abweichungen nach oben und unten in Abhängigkeit der Person bzw. des Sportlers möglich) wobei der Absolute Anteil bei 245g Kohlenhydrate liegt.
Stellt man dem eine Atkins-Philosophie gegenüber, bei welcher die absolute Kohlenhydratmenge (unabhängig der Gesamtenergiezufuhr) bei <40-60g (das entspräche einer relativen Menge von maximal 10%) liegt so besteht ein Unterschied von 200g Kohlenhydraten. 200g Kohlenhydrate erscheinen auf den ersten Blick und vor allem beim Vergleich der Absoluten Zahlen sehr viel.
In beiden Fällen ist der Körper gezwungen auf Fett als Energielieferant zurück zu greifen. Bei Atkins, weil der Körper keine nennenswerten Kohlenhydrate zugeführt bekommt. Beim CBL, weil der Körper Kohlenhydrate überwiegend abends zugeführt bekommt und tagsüber mit Fett als Energielieferant zurechtkommen muss. Zudem findet eine Verschiebung der Tagesbilanz zugunsten des Fettes statt. Während in der ‚Vergangenheit‘ und auch noch heute bei vielen die typische Ernährung unserer Gesellschaftskreise kohlenhydratlastig (50% und mehr) ist kann ich definitiv festhalten, dass 30-40% eine kohlenhydratreduzierte Ernährungsweise ist.
Eine kurze Zusammenfassung: Lowcarb bedeutet <30 bis 40% der Gesamttagesbilanz in Abhängigkeit des Timings werden in Form von Kohlenhydraten zugeführt denn Lowcarb bedeutet nicht nur wenig Kohlenhydrate sondern eine kohlenhydratreduzierte Ernährung
Es waren einige viele Gedankengänge und -sprünge. Dessen bin ich mir bewusst. Doch würde eine ausführliche Behandlung der einzelnen Ernährungsphilosophien, um daraus ausdifferenzierte Definitionen zu bilden, den Artikel sprengen.
Nachdem ich euch einen Einblick in die linke und rechte Grenze gegeben habe, ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff Lowcarb nur schwammig definiert ist und er so oft benutzt wird. Ich würde so weit gehen und behaupten, dass er aufgrund der zu seltenen Differenzierung zu inflationär genutzt wird. Auch von mir… was Verwirrungen oftmals nur weiter vorantreibt.
Ich denke aber auch man muss nicht typisch deutsch Kleinkariert an die Sache herangehen. Wenn ihr Lowcarb als Begriff versteht, welcher nicht nur einer Ernährungsphilosophie zugeordnet wird sondern ein „Oberbegriff“ darstellt welcher in der genaueren Betrachtung weitere Differenzierungen mit sich bringt, so ist das für das Verständnis der Ernährungsweisen selbst eine große Hilfe. Das wesentlichste, was ihr damit verbinden solltet ist eine Ernährung in der Kohlenhydrate nicht mehr den primären Energielieferanten darstellen und das Fett als Energieträger und –lieferant mehr an Bedeutung gewinnt.
Zum Abschluss die wesentlichen Aspekte im Überblick:
- Lowcarb bedeutet kohlenhydratreduziert oder wenig Kohlenhydrate
- Lowcarb wird unterschieden in absolut und relativ
- Auch das Timing, also der Einsatz der Kohlenhydrate, spielt eine wesentliche Rolle
- Lowcarb bedeutet das Fett als Energielieferant gewinnt an Bedeutung
Fußnoten [1] Zur Verdeutlichung wurden für dieses Beispiel folgende Werte herangezogen: hochaktiver Athlet, 75kg Körpergewicht, Kalorienbedarf zum Erhalt: 3.000kcal, Kalorienbedarf zur Reduzierung: 2.700kcal.