Dein Trainingsplan sollte dir Angst machen – Zumindest ein bisschen.
Wir CrossFitter kennen es wahrscheinlich alle. Spätestens wenn ein Benchmark WOD ansteht oder an den Open teilgenommen wird kommt es wieder. Dieses leichte flaue Gefühl in der Bauchgegend. Noch ein letzter schneller Gang auf die Toilette – das Angstpipi. Ein leichtes Gefühl von Herzrasen. Nervosität. Doch noch ein, zwei Minuten hinaus zögern, bis dann das Setup eingenommen wird, das Handzeichen zum Judge gegeben wird, dieser den Timer startet und damit die nächsten Minuten dem Workout und seiner Eigenschaft den eigenen Körper und Geist herauszufordern, gehören. Jene Herausforderung die bei manch einem den eigenen Körper und Geist in die Knie zwingt. Doch zuvor ist spätestens mit dem „3…2…1… Go!“ der Fokus klar gesetzt: Workout! Alles zuvor Beschriebene verfliegt in das Nichts und der schwerste Kampf um Sieg oder Niederlage beginnt – Der Kampf gegen dich selbst.
CrossFitter vs. „sonstige“ Sportler – in den Lagern scheint Einigkeit, zwischen den Lagern Uneinigkeit
In der Vergangenheit habe ich mich öfters über dieses Thema unterhalten. Unter den CrossFittern, insbesondere den wettkampforientierten Athleten herrscht so ziemlich eine Meinung: Trainingsprogramme bzw. Workouts, welche nicht zuvor beschriebene Reaktionen mit sich bringen sind „langweilig“. Sie entsprechen nicht den eigenen Vorstellungen. Zuvor beschriebene Reaktionen gehören einfach dazu. Dem gegenüber sind einige Trainer und Sportler aus dem „klassischen“ Krafttraining, Bodybuilding und „Fitnesstraining“ Gegner eines Trainings, welches diese Reaktion im Vorfeld auslöst. Gängige Gegenargumente sind körperlicher Verschleiß, fragwürdige Gesundheit, Ausführung zu komplexer Übungen unter zu hoher Intensität. Sicherlich. Das alles sind Argumente, welche ich nachvollziehen kann und auch akzeptiere. Mit jenen Kritikern bin ich auch konform, dass der Körper eine solche Belastung nicht dauerhaft aushalten kann. Irgendeine Art von Periodisierung, regelmäßige, leichte Trainingstage, Belastung mit deutlich niedrigerer Intensität, Erholung etc. müssen in jedem Programming vorhanden sein.
Trotz der nachvollziehbaren Argumente gegen ein solches Training werde ich dir im Folgenden ein paar Anregungen mitgeben, welche für einen Trainingsplan sprechen, der dir Angst machen sollte – zumindest ein bisschen.

Angst ist ein Zeichen von Vorsicht und Respekt.
Vielleicht ist das Wort Angst in diesem Zusammenhang falsch gewählt. Ich für meinen Teil empfinde die beschriebenen Reaktionen jedenfalls als keine negative Angst. Ganz im Gegenteil. Ich deute es eher positiv. Diese Reaktionen, das Empfinden vor einem Workout geben mir das Feedback, dass ich das Training ernst nehme, nicht unterschätze und immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt werde. Es entsteht keine Routine und ich stehe immer wieder vor der Frage: Wie weit komme ich heute? Schaffe ich es mich heute wieder selbst zu besiegen? Ähnliche Situationen erlebe ich bspw. immer wieder am Berg. Ich fokussiere mich dadurch deutlich besser und konzentriere mich weit mehr auf die Richtigkeit meiner Handgriffe.
Fight or Flight – Angst fördert deine Leistungsfähigkeit.
Unsere Vorfahren haben die Angst noch weitaus intensiver erlebt und genutzt als wir das heute tun. Wenn Sie in eine Gefahrensituation gekommen sind wurde binnen Sekunden instinktiv entschieden: Kämpfen oder Rennen. In beiden Situationen brauchten Sie mehr körperliche Leistungsfähigkeit als üblich. Auch hierbei kommt die Angst ins Spiel. So spricht man ihr eine erhöhte Energiebereitstellung in Muskeln und eine erhöhte Muskelanspannung und verbesserte Reaktionsgeschwindigkeit zu. Aus dieser Argumentation heraus kann man nun unterstellen, dass dich die Angst vor deinem Training während dem Training leistungsstärker macht, dadurch ein besserer Trainingsinput generiert wird, welcher sich positiv auf dein Output – die Leistungsverbesserung – auswirkt.

Körper und Geist wachsen an ihren Herausforderungen.
Hast du schon einmal Fließbandarbeit betrieben? Oder vergleichbare Arbeit bei welcher die geforderten motorischen und kognitiven Fähigkeiten auf ein Minimum reduziert werden und die meisten Handgriffe nichts mehr als Routine sind? Damit einhergehend bleibt die Herausforderung – gezwungenermaßen – aus. Zu behaupten, Personen mit solchen Tätigkeiten hätten keinen gewachsenen Körper oder Geist ist an dieser Stelle definitiv falsch, das will ich vorbeugend klarstellen. Es gibt weitaus mehr Faktoren, welche auf diese Entwicklung Einfluss nehmen. Sport beispielsweise. Sicherlich, das Ziel mehr Leistungsoutput zu generieren, indem bspw. mehr Wiederholungen mit gleichem Gewicht oder mehr Gewicht bei gleicher Wiederholungszahl absolviert werden, stellet eine Herausforderung dar. Definitiv wächst der Körper an dieser Herausforderung. Er wird stärker. Ein Stück weit wächst auch der Geist an dieser Herausforderung. Doch wie sehr, wie effizient wird dabei der Geist trainiert. Die Ermittlung eines 1-RM oder die Verbesserung stellen einen zeitlich doch sehr begrenzten Kampf gegen sich selbst dar. Ein 10+ Minuten Workout, bei welchem nach 4 Minuten der Kopf – oder der Schweinehund – einsetzt und Widerstand leisten will ist was anderes. In jedem Fall ist die zeitliche Belastung eine deutlich längere. Allen denjenigen, die einen solchen Kampf gegen sich selbst bestritten haben, brauche ich es nicht zu sagen wie teilweise befriedigend es ist, diesen Kampf gewonnen zu haben. Aber um die Befriedigung allein geht es dabei nicht. Solche erfolgreichen Kämpfe zeigen einem selber auf, wo man steht, wer man ist und vor allem was möglich ist, auch wenn der Körper was anderes sagt. Willenskraft und Bissfähigkeit sind an dieser Stelle die richtigen Wörter. Beides sind Charakterzüge welche immer von Vorteil sind und beide Charakterzüge können sehr gut durch ein entsprechend ausgelegtes Training unterstützt werden. Spätestens damit hast du die Möglichkeit einen guten Übertrag von deinen sportlichen Aktivitäten in dein Leben zu generieren. Mache aber nicht den Fehler und resigniere, weil du unter der Herausforderung des Workouts eingebrochen bist und aufgegeben hast. Sieg oder Niederlage in einem Kampf entscheiden nicht über den Ausgang einer Schlacht. Im Gegenteil. Sich selbst eine Niederlage einzugestehen ist eine große Stärke und noch größer ist es, diese Herausforderung neu vorbereitet erneut anzutreten.
Zusammenfassend gilt zu sagen
Wir werten Angst oftmals automatisch als etwas Negatives. Ich habe bereits aufgezeigt, dass Angst an dieser Stelle vielleicht der falsche Begriff ist. Aber eingangs beschriebene Gefühle und Reaktionen vor einem Workout entsprechen durchaus einem Angstgefühl oder Gefühl von Nervosität. Ich für meinen Teil werte und nutze es für etwas Positives und verbinde es mit Vorsicht und Respekt und damit, dass ich etwas nicht unterschätze. Und spätestens mit dem Beginn des Workouts ist mein Fokus klar gesetzt, was der entscheidende Faktor ist: Lasse ich zu, dass die Angst mich beherrscht oder das ich die Angst beherrsche. Sicherlich kann diskutiert werden, in wie weit die Angst nutzbringend die Leistungsfähigkeit verbessert. Tatsache ist aber, dass Adrenalin mit Angst in Verbindung steht und Leistungen und Einfluss von Adrenalin deutlich besser erbracht werden. Der wesentlichste und abschließende Punkt ist die Tatsache, dass man nur an Herausforderungen wachsen kann. Ein Training ohne Angst lässt zumindest die Frage zu, ob es eine wahre Herausforderung darstellt und damit die volle Effizienz des Trainings im Hinblick auf Wachstum von Körper und Geist ausgenutzt wurde und wird.