Das Schienbeinkantensyndrom (Shin Splints) – Eine Diagnose ohne viel Aussagekraft!

Das Schienbeinkantensyndrom, wie ich es gehasst habe! Bei mir hat es bereits in sehr jungem Alter angefangen. Meine erste Erinnerung an diesen Schmerz bringe ich mit der 8. Klasse in Verbindung. Schon damals hat bereits ein Gehen mit sehr hoher Frequenz ausgereicht, dass sich mein Schienbein verhärtet hat. Unzählige Male habe ich versucht mein eigenes Training mit einem Lauftraining zu ergänzen und meist nach der dritten oder vierten Laufeinheit wieder aufgehört weil die Schmerzen einfach brutal gewesen sind. Für mich war es doppelt problematisch denn selbst meine soldatischen Leistungen – wie schnelles Marschieren – konnte ich nur unter Schmerzen ableisten. Über die Jahre hin weg ist es natürlich nicht besser geworden sondern eher schlimmer. Neben einer verhärteten Schienbeinmuskulatur hat es teilweise bis hin zu komplett krampfenden Füßen (bzw. der Fußmuskulatur) geführt.

Alle klassischen Therapiemethoden haben – bei mir – aus nachhaltigem Blickwinkel zu nichts geführt.

Natürlich habe ich das auch vom Arzt untersuchen lassen, das erste Mal ist 2009 gewesen. Ohne sonderliche Überraschung hat der Arzt die Diagnose Schienbeinkantensyndrom (oder auch Shin Splints, Medial Tibial Stress Syndrome – MTSS) gestellt. In der Folge bin ich von Schuheinlagen über verschiedene Laufschuhe bis hin zu Physiotherapie (Kryotherapie und Topfenumschläge) gegangen und nichts hat einen wirklichen Fortschritt mit sich gebracht. Im Grunde bin ich das derzeit von Ärzten gängige Therapiesortiment einmal komplett durch gegangen. Bis 2014 hat sich allerdings keine wirkliche Besserung eingestellt und ich war schon so weit, dass ich mich mit den Schmerzen und der damit verbundenen Einschränkung abgefunden habe. Ausgelassen habe ich einige kleinere Aspekte wie ständiges Tapen oder gar Sprunggelenksbandagen – und halte heute im Allgemeinen nicht viel davon. Das warum dazu folgt im späteren Verlauf des Artikels. Wenn du bis hier hin gelesen hast und dich 1:1 (oder zumindest fast) wiedergefunden hast, nichts davon geholfen hat, habe ich vielleicht doch noch eine Lösung für dich und diese heißt Hüfte!

Per Zufall: Eine eingeschränkte Mobilitätsfähigkeit in Hüfte und Sprunggelenk sind die eigentliche Ursache gewesen.

Im Jahr 2014 habe ich durch die Mobility Fortbildungen von Release Fitness angefangen mit simplen Übungen an meiner Sprunggelenks und Hüftmobilität zu arbeiten. Gemessen an einer tiefen Kniebeuge ist beides nie richtig schlecht gewesen aber offensichtlich nicht gut genug, zumindest im Hinblick auf das Schienbeinkantensyndrom. Tatsächlich habe ich dies nicht im Hinblick auf das Lauftraining oder meine Einschränkung im Laufen gemacht sondern diese Übungen als Unterstützung für mein Krafttraining in das Warm-Up eingebaut. Erst im Rahmen einer Marschleistung die ich im Herbst 2014 absolvieren musste ist mir deutlich geworden, dass ich ohne Probleme laufen und marschieren konnte. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Laufleistung ohne Einschränkung absolvieren konnte. Natürlich kann der gewiefte Wissenschaftler nun her gehen und sagen, dass der Test vorher und nachher gefehlt hat und deswegen kein eindeutiger Zusammenhang festzustellen ist. Vielleicht war es nur Zufall. Ja, vielleicht, aber… Nein! Für mich besteht ein klarer Zusammenhang und dieser ist für mich logisch. Die Hüfte bzw. das Becken stellt zum einen das Bindeglied zwischen Torso und Extremitäten dar. Der Torso wiederum ist das Zentrum unserer Körpers. Wenn im Zentrum etwas nicht richtig rund läuft, sind Auswirkungen auf Extremitäten durchaus möglich denn Tatsache ist, dass unser Körper aus Faszien, Muskelketten, Muskelsträngen besteht die sich nicht isoliert betrachten lassen. Also doch, das geht schon nur wird es ihrer Bedeutung nicht gerecht. Auch und vor allem zeigt meine eigene Erfahrung, dass Schmerzen oder Probleme in Extremitäten und die damit verbundene Diagnose nur ein Symptom einer im Zentrum liegenden Ursache ist. Für mich hat rückblickend die Ursache bei mir in einem nicht richtig funktionierenden Hüftbeuger gelegen, was zu einer minimalen (optisch nicht wahrgenommenen) Ausweichbewegung geführt hat welche durch die überlastete Muskulatur (deutlich geworden durch das Schienbeinkantensyndrom) kompensiert wurde.

Für mich greift auch hier der Grundsatz: „Eine Kette ist nur so stark wie das schwächste Glied“ und daran anknüpfend kann eine Kette nur sauber funktionieren, wenn jedes Glied der Kette seine Arbeit sauber verrichtet und nicht irgendwann ein Glied der Kette die Arbeit eines anderen Gliedes mit verrichten muss – wofür es im schlimmsten Fall nicht ausgelegt ist. Und unser Körper ist Anpassungsfähig, ja! Aber das ein Muskel eine komplett neue Funktion erlernt und dann noch in seinem vollen Potential funktionell bleibt: Das bezweifle ich. Muskeln mögen in der Lage sein, eine Funktion zu übernehmen und isoliert zu arbeiten doch was die Funktionalität des Muskels betrifft ist aus meiner Sicht ganz klar mit Einschränkungen zu rechnen.

Ein Ausschnitt aus den Übungen die ich angewendet habe, hier: Der HIP mobility Drill

In der Ausgangssituation sitzt du möglichst mit beiden Gesäßbacken auf dem Boden. Die Unterschenkel sind leicht gebeugt. In jeweils einem Hüftgelenk liegt eine Innenrotation vor und im Anderen eine Außenrotation. Der Oberkörper bleibt aufrecht und in einer stolzen Haltung. Während der Ausführung der Übung ist es notwendig sich auf die Bewegungen zu konzentrieren. Ziel ist es die Gesäßbacken möglichst immer auf dem Boden zu halten. Im Oberkörper findet nun eine Außenrotation statt (ob der Schritt gemäß Außenrotation zur Hüft-(I)nnen(R)otation oder Außenrotation mit Hüftöffnung als erstes gemacht wird spielt keine Rolle). Die Bewegungen in beide Richtungen werden mehrmals hintereinander ausgeführt, dann wird die Position der Hüftgelenke in die jeweils andere Richtung geändert. Alternativ kann in der maximalen Position Außenrotation mit Hüftöffnung die Gesäßseite des nach innen rotierten Gelenks maximal aktiviert werden. Durch diese Aktivierung solltest du einen deutlich Zug im Hüftbeuger verspüren. Diese Übung kann mehrmals täglich und vor allem vor jedem Training durchgeführt werden (dazu gehört auch das Lauftraining).

Tape und Sprunggelenksbandagen sind Symptom und nicht Ursachenbekämpfung und führen zu keiner Verbesserung der Lebensqualität.

Nun gehe ich auf die im zweiten Abschnitt angesprochene mögliche Therapie mit Tape und Sprunggelenksbandagen ein. Sicherlich, für den Moment ist eine solche Therapie nicht verkehrt um bei einem Leistungssportler den Leistungserhalt oder Leistungsfortschritt gewährleisten zu können. Dafür sind solche Tools erstklassig und auf jeden Fall auch angebracht. Hier muss aber ganz klar differenziert werden! Zunächst stellt sich mir die Frage: Wie viele derer, die mit einem Schienbeinkantensyndrom zu kämpfen haben sind tatsächlich wettkampforientierte Leistungssportler die im Wettkampftraining stehen. Wie viele sind der durchschnittliche Freizeit-Sportler wo es – aus meiner Sicht – Hauptaufgabe des Trainings ist einen Ausgleich zum Alltag zu schaffen, Spaß zu bringen und die Funktionalität des Körpers aufrecht zu halten um über das Alter hinweg gesund und leistungsfähig zu bleiben. Ich behaupte zweiteres trifft auf die meisten zu. In wie weit stellen mir das regelmäßige Tape oder Sprunggelenksbandagen die Funktionalität wieder her? Sie übernehmen Arbeit (und damit die Funktionalität) von der dafür eigentlich vorgesehenen Muskulatur und damit wird das Symptom behandelt die Ursache aber nicht wirklich bekämpft. Im schlimmsten Fall bin ich als Person gezwungen immer wieder mit diesen Tools arbeiten zu müssen. Das verstehe ich als Einschränkung meiner Lebensqualität und damit alles andere als zielführend!

Abschließend stelle ich noch klar, warum ich der Meinung bin, dass die Diagnose Schienbeinkantensyndrom keine große Aussagekraft hat. Das bedarf wohl nicht vielen Zeilen… Wie dargestellt ist dieses Syndrom für mich nur ein Symptom einer tatsächlich wo anders liegenden Ursache. Damit ist der Arzt in meinen Augen dem Anspruch mit dem ich zu ihm komme nicht gerecht geworden. Erst wenn er sich die Zusammenhänge genauer betrachtet und mir dann sagt, wieso dieses Syndrom entsteht (und nicht die Offensichtlichkeit einer isolierten, muskulären Überlastung) bzw. entstanden ist und ich die tatsächliche Ursache angreifen kann. Erst dann erkenne ich eine nutzvolle Aussagekraft in der Diagnose. Denn um Symptome wie einen Überlastungsschmerz zu diagnostizieren und zu behandeln brauche ich nicht zum Arzt zu gehen – so viel Körpergefühl hat der erfahrene Sportler meist selbst.

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